Immer noch spukt in den Köpfen derer, die sich überhaupt für derlei Dinge interessieren, die Vorstellung, Teezeremonie sei ein Übungsweg des Zen. Wer weiterhin an dieser Einschätzung festhalten will, scheint sich dabei auf Sprüche und Aussprüche berufen zu können wie: cha zen ichimi, ‚Teezeremonie und Zen – ein einziger Geschmack‘ oder „Teezeremonie ohne Zen ist wie eine Blume ohne Duft!“ Oder sogar auf den Titel unseres eigenen, längst vergriffenen Buches: ‚Zen in einer Schale Tee‘.
Unsere persönlichen Erfahrungen sowohl in Japan als auch hier bei uns in Deutschland haben uns allerdings im Verlauf von mehr als 25 Jahren zu einer differenzierteren Sichtweise genötigt.
Was soll das überhaupt bedeuten: ‚Teezeremonie – ein Übungsweg des Zen?‘ Soll damit gesagt sein, dass Teezeremonie ein Teil der Zen-Ausbildung ist, namentlich der Ausbildung in einem japanischen Zen-Kloster? Oder soll lediglich gemeint ein, dass der Tee-Weg ein eigenständiger Übungsweg ist, in den Zen eingeflossen ist und immer noch einfließt, ja einfließen muss, wenn wir es denn darin zur Meisterschaft bringen wollen? Dergestalt, dass Zen einen festen Bestandteil der Ausbildung auf dem Tee-Weg darstellt?
Was die Zen-Ausbildung betrifft, wie sie sich auch heute noch in japanischen Zen-Klöstern abspielt, so ist darin für das Erlernen und Praktizieren des Tee-Weges mit seiner Vielzahl unterschiedlich komplexer Rituale schlichtweg kein Platz. Über die Stunden hinaus, die dem Zazen, also der eigentlichen Meditation vorbehalten sind, nehmen die täglich anfallenden Arbeiten nahezu den gesamten Rest der im Wachen verbrachten Stunden ein. Allen Zen-Schülern Teezeremonie zu vermitteln, würde den Rahmen des Klosterlebens sprengen, und auch nur einigen Interessierten die für den Unterricht erforderliche Zeit einzuräumen, raubte der allmorgendlich zu verteilenden Arbeit, dem Samu, unentbehrliche Kräfte. Andererseits finden auch in den Zen-Klöstern und -Tempeln bei besonderen Anlässen, etwa Gedenktagen, durchaus Tee-Rituale statt, die jedoch von zumeist ranghohen Teemeister(inne)n ausgeführt werden, die gerade nicht dem jeweiligen Kloster als Mit-Übende angehören, sondern außerhalb leben und wohnen.
Für die Teeschulen hingegen gilt nach unseren Erfahrungen mit der Ueda Sôko Ryû, dass zwar ein Großmeister sehr wohl enge Beziehungen zu einem Rôshi, dem Abt eines befreundeten Zen-Klosters, haben kann und sich auch täglich seinem Zazen widmet. Doch die überwiegende Mehrheit der Teelehrer/innen sowie der Teeschüler/innen steht, wie die Japaner ganz allgemein, dem Zen eher fern. Diese Distanz tritt allzu deutlich bei den Zazenkai, den allmonatlich angebotenen Zen-Abenden unter Anleitung des eigens angereisten Kloster-Abtes, zutage, an denen von den Hunderten von Schulmitgliedern allenfalls ein gutes Dutzend teilnimmt. Darüber hinaus besteht, wie im Zen-Kloster für den Tee-Weg, so im Alltag einer Teeschule für die Zen-Übung, gar eine gemeinsame, weder Gelegenheit noch Zeit; und zum Unterricht, also dem Tee-Training, erscheinen die Schüler/innen nacheinander, über bestimmte Zeiten des Tages verteilt, derart, dass stets nur eine kleine Anzahl von Übenden sich gleichzeitig in einem der Teeräume aufhält. Andererseits sind namentlich die Lehrer/innen auch ohne ein Mindestmaß an Zen-Praxis (wir haben einzelne von ihnen danach befragt) imstande, Teezeremonie auf eine beeindruckende und perfekte Weise auszuführen. Ihre Performance scheint, zumindest in den Augen Zen-Kundiger, reinen Zen-Geist zu atmen – und ist doch „nur“ makellose und atemberaubende Teezeremonie! Wenn wir uns von dem Gedanken frei machen, Teezeremonie ohne Zen sei ein Ding der Unmöglichkeit, gibt es da nichts, was zu vermissen wäre!
Nun hat aber doch ein Mann wie Yanagi Sôetsu, Propagandist und Begründer der einflussreichen Mingei- (Volkskunst)-Bewegung, in einem Aufsatz aus dem Jahr 1952 konstatiert (‚Die Schönheit der einfachen Dinge‘, S. 114): „Die Teezeremonie war gleichsam eine ästhetische Manifestation des Zen beziehungsweise eine Möglichkeit, Zen in der Welt der Schönheit zu praktizieren, und einen Teemeister hätte man auch als einen Zen-Mönch bezeichnen können, der in der Welt der Schönheit lebt.“ Auffällig ist dabei zunächst einmal das auf die Vergangenheit verweisende ‚war‘. In der Tat, das eingangs zitierte cha zen ichimi, ‚Tee und Zen – ein einziger Geschmack‘, entstammt der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und bezieht sich auf das Wirken insbesondere dreier Männer, Murata Jukô, Takeno Jôô und Sen no Rikyû, die sich anfangs einer längeren Ausbildung in einem Zen-Kloster unterzogen hatten und daraufhin die bis dahin gültige Form von Tee-Zusammenkünften radikal umgestaltet und ihnen dabei ganz bewusst den Geist des Zen implantiert haben. Das liegt freilich weit zurück; und Yanagis Formulierung ‚Zen-Mönch‘ führt, auf den Tee-Weg allgemein angewandt, in die Irre: Namentlich Sen no Rikyû, der in einschlägigen Büchern gerne als ‚Zen-Mönch‘ tituliert wird, war in Wahrheit ein reicher Kaufmann aus Sakai, Kunstsachverständiger (Dôbôshû) und Teemeister für Oda Nabunaga und Toyotomi Hideyoshi, die beiden damals mächtigsten Männer Japans – für Hideyoshi obendrein wichtiger politischer Berater und Diplomat. Wie sehr Rikyûs Stilisierung zum ‚Zen-Mönch‘ über die Zeiten hin in die Irre führen kann, zeigt sich an einem Ereignis wie diesem: Im Anschluss an eine durch und durch gelungene Ausführung von Teezeremonie fragt einer der Teilnehmer: „Und was wäre, wenn ein Zen-Mönch die Zeremonie ausgeführt hätte?“ Ein solche Frage, die nur einem Nicht-Japaner einfallen kann, verrät die typische Idealisierung des Zen-Weges; denn tatsächlich könnte auch ein ausgebildeter Zen-Mönch bei unzureichender Praxis des Tee-Weges nur eine mangelhafte Performance zustande bringen – so ‚erleuchtet‘ er auch immer sein mag.
Und damit sind wir bei den Verhältnissen in Deutschland. Hier gibt es keine Trainingsklöster, in denen sich Männer und Frauen über Monate und Jahre hinweg der Zen-Übung hingeben, einschließlich all der Arbeiten, die zur Aufrechterhaltung des alltäglichen Klosterbetriebs erforderlich sind. Ebenso gibt es keine Teeschulen, die tagaus, tagein nichts als Teezeremonie in ihren unterschiedlichsten situativen Variationen betreiben. Hier gibt es Zen-Zentren und Retreat-Einrichtungen, in denen sich Interessenten zu einem ein- oder mehrwöchigen Sesshin, einer Zeit intensiver Zazen-Übung, einfinden, und zum anderen weit verstreut lokale Angebote einzelner Teelehrer/innen, in entsprechend gestalteten Räumlichkeiten Teezeremonie zu erlernen und zusammen mit anderen Mitgliedern einer festen Gruppe regelkonforme komplexe Tee-Zusammenkünfte (Chaji) auszuführen – und gemeinsam zu genießen. Beides, Zen-Praxis und Unterweisung auf dem Tee-Weg sind wie in Japan so auch bei uns getrennte Welten – aber gleichwohl Welten, die sich gegenseitig ergänzen und bereichern können.
Denn immerhin hat für diejenigen unter den Anhängern der Teezeremonie, die selbst Zen praktizieren, die Devise ‚cha zen ichimi‘ auch heute noch eine nicht geringe Plausibilität. Eignet dem Tee-Weg doch unverkennbar neben den Aspekten der Gastfreundschaft und des Kunstgenusses durchaus der Charakter einer – gemeinsamen – Meditation, was sich vor allem in der strikten Konzentration (der ‚Einspitzigkeit des Geistes‘) und den gemessenen, von tiefer Hingabe und Versenkung erfüllten Bewegungen des ‚Gastgebers‘ manifestiert und die ‚Gäste‘ zu einem gleichartigen Verhalten bewegt.
Doch wie das Beispiel Japans zeigt – und unsere eigenen Erfahrungen bestätigen – bedarf es, um es bei der Performance einer Zeremonie zur Meisterschaft zu bringen, nicht notwendig vorheriger und langjähriger Zen-Übung. Wohl aber führt umgekehrt eine gründliche und in sich abgerundete Tee-Praxis zu einer Erfahrung, die sich den Resultaten der Zen-Übung vergleichen lässt – ihnen zwar nahekommt, sie jedoch, soweit es auf ernsthafte Praxis ankommt, keineswegs ersetzen kann.
Ein erstes Fazit könnte also lauten: Ja, Teezeremonie und Zen überschneiden sich partiell – was allerdings nur dem auffällt und auffallen kann, der sich ohnehin dem Zen verschrieben hat oder von Zen-Kennern mit der Nase darauf gestoßen wird. Und: Nein; es gibt da keine Identität, weder von der einen noch von der anderen Seite her, weshalb immer wieder einmal vorgebrachte Behauptungen wie: „Teezeremonie ist Zen!“ oder „Ohne Zen keine Teezeremonie!“ sich selbst der Absurdität überführen.
Das zweite Fazit fällt deutlich länger aus: Als wir im Jahr 2000 nach einem neunmonatigen Aufenthalt in Japan nach Deutschland zurückgekehrt sind, haben wir, enttäuscht von der dort vorherrschenden gegenseitigen Distanz zwischen Zen- und Tee-Weg, uns vorgenommen, die beiden Wege zusammenzuführen und den Tee-Weg als einen Zen-Weg zu etablieren – eine geradezu klassische Anfänger-Übertreibung und -Voreiligkeit, geboren aus unserer persönlichen Begeisterung für das Eine wie das Andere. Ursprünglich von der Zen-Praxis zur Tee-Praxis gekommen, waren wir allzu bereit, die Zen-lastigen Aussagen des Nanbôroku, einer zum hundertsten Todestag Rikyûs ans Licht gebrachten Fälschung, die vorgibt, authentische Gedanken und Äußerungen Rikyûs der Nachwelt zu überliefern, für bare Münze zu nehmen und uns vorbehaltlos dem ‚cha zen ichimi‘ zu verschreiben. Aus dieser Einstellung heraus ist unser Buch von 2003, ‚Zen in einer Schale Tee‘, entstanden. Doch diesen überschießenden Enthusiasmus für die Verschmelzung von Tee und Zen haben wir mit zunehmender Erfahrung nicht aufrecht erhalten können. Wir haben gelernt, den Aspekten der Ehrerweisung, der Gastlichkeit und der Präsentation von Tee-spezifischen Kunstwerken, Aspekten, die unbestreitbar wesentlicher Bestandteil des Tee-Weges sind, den ihnen gebührenden Platz einzuräumen. Und wir haben uns von unseren Schülern darin überzeugen lassen müssen, dass sie – von denen wir zu keiner Zeit eigene Zen-Praxis als Voraussetzung für den Unterricht verlangt haben – sich je nach Eignung mehr oder weniger schnell eine mehr oder weniger untadelige Ausführung der Teezeremonien haben aneignen können – wohlgemerkt, ohne auch nur eine einzige Stunde Zazen. Andererseits hat es immer wieder – und gibt es auch heute noch – Schüler/innen gegeben, die wie wir selbst von der Zen-Übung zur Teezeremonie gefunden und uns gegenüber bekundet haben, dass sie den Tee-Weg als Erweiterung ihrer Zen-Praxis erfahren und betreiben. Auch den umgekehrten Weg vom Tee zum Zen haben wir miterleben können. Kurz, die Teezeremonie ist kein Übungsweg des Zen, derart, dass erfolgreiche Zen-Praxis – was immer das sein mag – erst durch erfolgreiches Beschreiten des Tee-Weges möglich wird; ebenso wenig wie sich andersherum der Zen-Weg keineswegs zur unabdingbaren Voraussetzung für erfolgreiche Tee-Praxis erklären lässt. Doch beide Wege sind – spirituelle Geschwister.
So sind wir von einer allfälligen Kritik an der überaus gewagten These, Teezeremonie sei ein Übungsweg des Zen, zu einer skizzenhaften Beschreibung unseres eigenen Weges auf dem Tee-Weg gelangt. Dabei tritt zutage, was hier noch einmal deutlich hervorgehoben sein soll: In unseren Augen führt Zen-Praxis mit ihrem Insistieren auf Stille und Versenkung zu einer merklichen Vertiefung der Tee-Praxis, doch ohne dass sich daraus die Folgerung ableiten ließe, nur zusätzliche oder vorausgehende Zen-Praxis erlaube es, all die Facetten, die der Tee-Weg umschließt, zur Entfaltung zu bringen. Im Gegenteil, wichtige Aspekte der Teezeremonie haben ihren Ursprung in eigenständigen kulturellen Sphären wie der harmonischen Ausgestaltung des menschlichen Miteinanders oder der Differenzierung unserer ästhetischen Wahrnehmung. Für manchen Anhänger des Tee-Weges mag dieses Fazit enttäuschend sein – für den einen, weil es dem Zen zuwenig, und für den anderen, weil es ihm ein Zuviel an Bedeutung beimisst. Schließen wir also mit einem versöhnlichen ‚Prüfe dich selbst!‘