Beginnen wir mit einer Klarstellung: Wenn hierzulande von Teezeremonie die Rede ist, dann spricht man gerne von ‚Teemeistern‘ und ‚Teemeisterinnen‘. Doch das Wort ‚Teemeister‘ ist eine Entlehnung aus dem Englischen, wo das Wort ‚Teamaster’ seine ursprüngliche Heimat hat. Im Japanischen hingegen gibt es keine entsprechende Bezeichnung – dort spricht man allenfalls von einem Chajin, einem ‚Menschen des Tees‘ oder ‚des Teeweges‘, und will mit diesem Ehrentitel hervorheben, dass der oder die Betreffende schon seit vielen, vielen Jahren, ja Jahrzehnten Teezeremonie einer bestimmten Stilrichtung betreibt und gleichsam zum Zentrum seines/ihres Lebens gemacht hat.
Gleichwohl halten Spötter hierzulande einem Chajin vor, was er oder sie da betreibe, sei doch bloße Brauchtumspflege, nicht anders als etwa das ‚Schuhplatteln‘ auf bayerischen Volksfesten. Das ist nun in der Tat starker Tobak – zumal selbst in deutschen Landen professionelle Teezeremonie zumindest von all denen, die sich um ein tieferes Verständnis dieses Kulturgutes bemühen, unbestritten als ein ‚Gesamtkunstwerk‘ anerkannt und gewürdigt wird. Ist also ein Mensch, der ein ‚Gesamtkunstwerk‘ ins Szene setzt, kein Künstler? Es liegt auf der Hand, dass es sich bei dieser Frage schlicht um eine rein rhetorische handelt.
Gehen wir also davon aus, dass einem Chajin der Status eines Künstlers zukommt. Aber eines Künstlers welcher Art? Zweifellos ist er kein Künstler im Sinne der Bildenden Kunst – er stellt nichts Neues her und sein schöpferischer Output besteht nicht aus verkäuflichen und für Museen und Galerien geeigneten Gegenständen. Eher schon gleicht er einem Schauspieler, dem, wie Schiller formuliert hat, „die Nachwelt keine Kränze flicht“. Oder einem Solisten, der sein Musikinstrument meisterhaft handhabt und für Aufführungen vorgegebener Partituren einsetzt (beim Jazz drängen sich freilich vielerlei Improvisationen ein) und ein und dasselbe Musikstück im Laufe seiner lebenslangen Karriere durchaus unterschiedlich interpretiert. Und dann gibt es da, seit der Fluxus-Bewegung, noch die Performance-Kunst. Deren Vertreter/innen bedürfen allerdings keiner jahrelangen Ausbildung und keines täglichen intensiven Übens; es genügen spontane Einfälle und nicht zur Wiederholung gedachte Absurditäten à la Beuys.
Wenn wir ‚Performance‘ als das nehmen, das das Wort bedeutet, nämlich ‚Aufführung‘, dann sind sie alle, Schauspieler, Musiker (soweit sie sich nicht als Komponisten betätigen), Fluxus-Anhänger und -Nachfahren – und eben auch Chajin, die eine Tee-Zusammenkunft bestreiten, Performance-Künstler, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dass ihre künstlerische Leistung ein jedes Mal einzigartig und nicht wiederholbar ist (für Letztere gilt das treffende Ichigo ichie des Ii Naosuke: ‚eine Lebensspanne, eine Zusammenkunft‘). Auch ein Chajin hat sich, nicht anders als ein Pianist oder die Virtuosin eines Streichinstruments, im Laufe der Jahre ein Repertoire erarbeitet (wenn auch kein so umfängliches, wie in der Musik-Szene üblich ist). Auch sein Instrumentarium hat sich stetig erweitert, was die Komplexität möglicher Darbietungen erhöht (denken wir zum Vergleich an einen zeitgenössischen Perkussionisten, der sich mit immer neuen Klangkörpern umgibt, was ihm immer weitere akustische Überraschungen erlaubt).
Doch worin besteht die künstlerische Leistung eines Chajin? Zunächst einmal in seiner/ihrer persönlichen Performance, was sich auf den Ausdruck bezieht, den er oder sie in die Rolle des ‚Gastgebers‘ zu legen imstande ist. Eine weitere Rolle spielen das ästhetische Feingefühl, mit dem er oder sie den allfälligen Tee-typischen Blumenschmuck der Tokonoma gestaltet, die Fertigkeit, mit der er/sie den selbstgefertigten Okashi, den das Teetrinken begleitenden Süßigkeiten, küntlerische Form verleiht, oder die thematische Ausrichtung einer Teezusammenkunft, wie sie sich in der allemal obligaten Kalligraphie spiegelt, deren Inhalt die Gäste gleich nach Betreten des Teeraumes in sich aufnehmen. Schöpferische Freiheit besitzt ein Chajin erst recht in Bezug auf die eigentlichen Teegeräte: Eine entscheidende Rolle für den Charakter einer Teezusammenkunft spielt die Auswahl der einzelnen Stücke und ihre zugleich kontrastreiche wie harmonische Zusammenstellung: Das Auge des Besuchers soll sich immer wieder aufs Neue gefesselt fühlen – bis hin zur abschließenden direkten In-Augenschein-Nahme, bei der die Gäste das mitunter höchst kostbare Gerät des ‚Gastgebers‘ auch in die eigenen Hände nehmen dürfen. Nicht zu vergessen ist schließlich der Anteil an der Gesamt-Atmosphäre, den die keineswegs bloß vorgespiegelte Wertschätzung ausmacht, die den Gästen gegenüber an den Tag zu legen so erlernt wie spontan und authentisch vollzogen sein muss.
Wollen wir überhaupt Teezeremonie mit dem Begriff ‚Kunst‘ in Verbindung bringen, so gibt es mithin eine Reihe zentraler Merkmale, die es rechtfertigen, von einer ‚Kunst der Teezeremonie‘ zu sprechen – und das, auch wenn wir, die wir den Teeweg praktizieren, uns unserer ‚Künstlerschaft‘ häufig nicht bewusst sind – sondern eher – wenn schon, denn schon – den Zen-Aspekt der Teezeremonie in den Vordergrund rücken.