Wenn wir erstmals den Teeweg betreten und Schritt für Schritt auf ihm vorwärts gehen, sind wir mit Lernen beschäftigt. Unsere Aufmerksamkeit ist ganz darauf ausgerichtet, uns Neues anzueignen. Wir haben weder Zeit noch Anlass, von unserem Atem Notiz zunehmen; er vollzieht sich ganz von selbst. Während des Unterrichts sind wir darum bemüht, das, was wir gesagt und gezeigt bekommen, unsererseits richtig auszuführen. Auch beim häuslichen Üben läuft es eher so, dass wir nichts davon verspüren, wenn unser Atem stockt oder sich wieder entspannt und beruhigt. Sind wir dann soweit zu glauben, wir hätten einen bestimmten Handlungs- und Bewegungsablauf hinreichend geübt und seien imstande, das Geübte auch unter Stress – vor dem Lehrer oder vor Gästen – fehlerfrei zu wiederholen, und wenn uns dann doch ein Fehler unterläuft und wir für einen Augenblick nicht weiterwissen, dann kann es durchaus vorkommen, dass wir das Stocken unseres Atems wahrnehmen. Ebenso kann es sein, dass wir, wieder in das ruhige Fahrwasser gelingender Abläufe zurückgekehrt, erleichtert auch die Entspannung unseres Atems verspüren. Das alles aber ist etwas, das mit uns geschieht, und nichts, was unserer bewussten Kontrolle unterliegt.
Was gleichfalls mit uns passiert, statt dass wir es bewusst darauf anlegen, ist ein Wechsel der Tempi in unseren Bewegungsabläufen, der uns unterläuft, wenn wir von leichteren Passagen einer Zeremonie in schwierigere wechseln oder umgekehrt: Um auch das Schwierigere zu meistern, verlangsamen wir unwillkürlich unsere Bewegungen, und wenn wir dann wieder in den Bereich des besser Geübten, des sicher Gekonnten wechseln, beschleunigen wir ebenso unwillkürlich, obendrein erleichtert, unsere Bewegungen. Dass sich bei alldem auch unser Atem verändert, bleibt in der Regel unbemerkt. Eher werden wir uns, wenn überhaupt, der unterschiedlichen Tempi unserer Performance bewusst, als dass wir auch auf die begleitende Beschleunigung und Verlangsamung unseres Atem aufmerksam werden (wir müssen erst von dritter Seite darauf aufmerksam gemacht werden). Wir selbst empfinden den Wechsel in der Geschwindigkeit unserer Bewegungen gewöhnlich nicht als störend (wenn er uns, wie gesagt, überhaupt bewusst wird); das ist eher Sache derer, an die wir uns mit unserer Performance wenden: Unterschiedliche Tempi wirken wie Brüche in dem anzustrebenden gleichmäßigen Fluss einer Zeremonie. Darauf aufmerksam gemacht, können wir uns zwar Mühe geben, Tempi-Wechsel zu vermeiden; doch immer wieder werden sich Tempo-Schwankungen einschleichen, je nach der Bedeutung, die wir den einzelnen Handlungen beimessen, und die ihrerseits über die Aufmerksamkeit entscheidet, mit der wir uns den jeweiligen Handlungen widmen (oder auch gerade nicht – sie also nur flüchtig vollziehen).
Es gibt nur eine Möglichkeit, dieser Misslichkeit zu entkommen: Statt den Ablauf der Bewegungen den Atem bestimmen zu lassen, müssen wir umgekehrt den Atem einsetzen, um den Ablauf der Bewegungen zu bestimmen. Das setzt voraus, dass wir uns unseres Atems erst einmal bewusst werden (und bewusst bleiben), um die Geschwindigkeit unserer Bewegungen von ihm leiten zu lassen: Schon bevor wir den Sadôguchi (die Schiebetür, durch die der Gastgeber/die Gastgeberin den Teeraum betritt) öffnen, besinnen wir uns auf unseren Atem; wenn wir, in den Teeraum eingetreten, niederknien, um den Sadôguchi zu schließen, wieder aufstehen, um die jeweiligen Geräte zu ihrem bei Eröffnung der Zeremonie vorgeschriebenen Platz zu bringen, erneut mit ihnen niederknien, sie korrekt absetzen und uns den Gästen zum ‚dôzo orakuni‘ zuwenden, vollziehen wir jede Bewegung mit der Geschwindigkeit, die unser gleichbleibender Atem uns vorgibt. Damit haben wir in einen Rhythmus hineingefunden, der wie ein Ostinato dem gesamten weiteren Ablauf der Zeremonie unterliegt. Und dieser Rhythmus unserer Bewegungen, bei dem wir uns zwischendurch immer wieder auf den Rhythmus unseres Atems rückbesinnen, verleiht dem Ablauf der Zeremonie eine Gleichmäßigkeit des Fließens, die unserer Performance eine geradezu magische Wirkung einflößt, sowohl bezogen auf uns selbst als auch spürbar für die Gäste.
Selbstverständlich ist die Ausführung einer Zeremonie keine solipsistische Veranstaltung, sondern überwiegend eine nonverbale Kommunikation mit den Gästen, die ja ihrerseits ihren Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen müssen. Und eben dieser nonverbale Charakter des Geschehens ist es, der es uns überhaupt erlaubt, mit dem Rhythmus unseres Atems den Rhythmus unserer Bewegungen vorzugeben. An einigen Stellen des Ablaufs ist jedoch auch verbale Kommunikation vorgesehen, die uns zwingt, unsere Aufmerksamkeit auf die eigenen Sprechakte und die des Ersten Gastes zu richten – ein Wechsel des Fokus, der unsere Aufmerksamkeit zugleich von unserem Atem abzieht. Dann kommt es darauf an, nach Abschluss solcher Einsprengsel verbalen Austausches zur Besinnung auf den Atem zurückzukehren, um auch die verbleibenden Teile der Zeremonie erneut in das ruhige Fahrwasser der Gleichmäßigkeit - einer durchaus nicht einschläfernden, sondern im Gegenteil spannungsgeladenen Gleichmäßigkeit – zu überführen und uns von ihr bis zum Ende dahintragen zu lassen. Denn schließlich gilt ja, dass ein Spannungsbogen die gesamte Performance überwölben soll, wobei es eben der Atem ist, der dem Ganzen einer Zeremonie seine Spannung verleiht und zugleich sozusagen das Gewölbe bildet, das die Zeremonie überhaupt zu einem Ganzen macht – statt sie in unterschiedliche Rhythmen zerflattern zu lassen.
Ein hoher Anspruch, fürwahr! Doch unbezweifelbar ist und bleibt es, dass ihm nachzustreben sich lohnt.