Überall in Japan kann man in Städten und freier Natur auf Shintô-Schreine stoßen – kleine, unauffällige Giebelhäuser aus Holz, versteckt in einem Bambus-Hain oder eingebettet in ein weitläufiges Gelände mit uraltem Baumbestand oder großartige Gebäudekomplexe wie der Itsukushima-Schrein auf der Insel Miyajima. Wer sich dem Allerheiligsten eines Schreins nähert, um dort mit Händeklatschen und wortlosen Verbeugungen das Wohlgefallen des Gottes zu erbitten, muss sich zuvor reinigen: Nur der rituell Gereinigte darf vor die unsichtbare Gottheit treten. Und diese Reinigung besteht darin, dass der Gläubige sich frisches Wasser über die Hände fließen lässt und den Mund ausspült. So hat er sich von den Befleckungen der Alltagswelt befreit und in einen Zustand versetzt, der der Sphäre des Göttlichen angemessen ist.
Teezeremonie ihrerseits wird in ebenfalls schlichten Holzhäusern vollzogen, die – nicht anders als die unauffälligen Gotteshäuser in Bambus-Hainen – in die Natur eingebettet sind, versteckt in einem eigens dafür entworfenen Teegarten. Der muss vor dem Eintreffen der Gäste gereinigt, und das heißt, von Unkraut und abgefallenen Blüten und Blättern befreit werden. Wenn die Gäste sich durch den Garten hindurch dem Teehaus nähern, erwartet sie unterwegs eine Wasserstelle: ein mit frischem Wasser gefüllter ausgehöhlter Stein, über dem eine Schöpfkelle abgelegt ist – als stumme Aufforderung, sich wie beim Betreten eines Shintô-Schreines die Hände und den Mund zu spülen. Ja, noch mehr: Kurz vor dem Eingang des Teehauses erreichen die Gäste eine kleine tönerne Abfallgrube, deren Boden einige eigens dazu arrangierte pflanzliche Reste bedecken und in die hinein die Gäste die ‚Abfälle‘ ihres Herzens und Geistes von sich abtun sollen. Ein Blick hinauf zum Giebel des Teehauses mit einer Namenstafel rundet die Vorbereitung der Gäste ab: So trägt das Teehaus in Hannover den Namen Senshintei, ‚Hütte zur Reinigung des Geistes‘. Und mit alldem ist vorerst nur die Shintô-spezifische Erhebung über die irdische Alltagswelt gemeint, mit der wir uns dem Numinosen annähern – eine Reinigung, die sich im Inneren des Teehauses fortsetzt und dort allmählich in die Zen-spezifische Reinigung des Geistes durch ‚Nicht-Denken‘ (Mushin) übergeht.
Wie der Teeraum vor dem Eintreffen der Gäste von irdischen Verunreinigungen wie Staub und Spinnweben befreit worden ist, so beginnt die eigentliche Performance des Gastgebers / der Gastgeberin mit einer ausführlichen Reinigung aller Geräte, die an der Zubereitung des Tees beteiligt sind – eine Eröffnung, die den gesamten Verlauf der Zeremonie ganz im Sinne des Shintô über die Sphäre irdischer Alltäglichkeit hinaushebt: Selbstverständlich sind Chaire bzw. Natsume, Chashaku und Chawan, wenn sie ihren Weg in den Teeraum finden, in hygienischer Hinsicht sauber und einwandfrei; werden sie dann obendrein auch noch vor den Augen, u.d.h. unter Einbezug der Gäste auf rituelle Weise gereinigt, so ist auch das eine Annäherung an die Sphäre des Numinosen.
Die Gäste andererseits betreten einen bis auf eine Kalligraphie, einen Kessel mit siedendem Wasser und ein Kaltwassergefäß leeren Teeraum, dessen Boden wie in Zen-Klöstern mit Binsengrasmatten bedeckt ist – eine Raumgestaltung, mit der sich die für das Zen charakteristische spirituelle Leere in dreidimensionale Wirklichkeit überträgt. Dabei verlangt die Kalligraphie in der Tokonoma, der Bildnische, noch vor dem Ensemble aus Feuerstelle (Fûro), summendem Kessel (Kama) und Kaltwassergefäß (Mizusashi) die respektvolle Aufmerksamkeit der Gäste. FU NI könnte dort geschrieben stehen, ‚Nicht-Zwei‘, einer der Grundbegriffe des Zen, der darauf hinweist, dass Zen einen Zustand anstrebt, in dem wir der Welt mit einer Haltung des ‚Nicht-Denkens‘ (Mushin) gegenübertreten. Auf die Ausführung einer Teezeremonie angewandt bedeutet das, dass sich – nunmehr ganz im Sinne des Zen – zwischen den Ausführenden und den Ablauf der vorgeschriebenen Handlungs- und Bewegungsabläufe kein Gedanke eindrängt, etwa derart, dass wir unsere eigene Performance zugleich mit kritischen Bewertungen begleiteten. Doch nicht nur der Gastgeber / die Gastgeberin selbst, sondern ebenso sollen auch die Gäste durch aufmerksames Verfolgen der Bewegungen des Gastgebers in einen Zustand des Mushin eintreten, so dass beide, Gastgeber und Gäste, gleichermaßen ganz in den Ablauf der Zeremonie versunken sind – ohne das Beiwerk störender Gedanken. Und in Beiden stellt sich damit ein Zustand tiefen, inneren Friedens ein, beim Gastgeber bereichert um das beglückende Gefühl, sich vorbehaltlos einem Strom physisch-spiritueller Energie überlassen zu können.
Damit der Funke auf die Gäste überspringen kann, bedarf es einer besonderen Meisterschaft auf Seiten des Gastgebers. Sämtliche Bewegungen, das Falten des Teetuchs (Fukusa), das Säubern von Teebehälter (Chaire bzw. Natsume), Teelöffel (Chashaku) und Teeschale (Chawan), die Handhabung der Wasserschöpfkelle (Hishaku), das Einfüllen des Teepulvers in die Chawan, das Schöpfen und Ausgießen von kaltem und heißem Wasser, das Verrühren des Koicha, des ‚dicken Tees‘ bzw. bzw. das Schaumig-Schlagen des Usucha, des ‚dünnen Tees‘, bis hin zur Darreichung des fertigen Getränks – all diese Bewegungen müssen mit Sorgfalt, Gleichmäßigkeit und Eleganz ausgeführt werden, dergestalt, dass eine durchgängige Harmonie den gesamten Ablauf überwölbt und die Gäste von Anfang an in ihren Bann zieht.
Auf dem Höhepunkt der Zeremonie genießen die Gäste unter selbstverständlicher Einhaltung genauer Regeln den ‚Teebrei‘ bzw. den schaumig geschlagenen ‚dünnen Tee‘, wobei in die Stille des bisherigen Ablaufs auch eine höchst sparsame verbale Kommunikation zwischen Gastgeber und Gästen einfließt. Danach folgt – wieder im Geiste des Shintô – eine abermalige Reinigung der Geräte, die sie von den Spuren ihrer Benutzung befreien soll. Bei diesen abschließenden Handlungen, die zum großen Teil Wiederholungen der einleitenden Reinigungsaktionen darstellen, kommt es zugleich darauf an, ihnen bei gleichbleibender Intensität und Hingabe eine deutlich spürbare größere Leichtigkeit zu verleihen und so die Gäste mit in die Stimmung eines nach wie vor dem Mushin verpflichteten Ausklangs einzubeziehen.
Damit hat sich, in einer Art ‚Engführung‘, der Kreis aus Shintô und Zen geschlossen. Es folgt allerdings noch ein Nachspiel, das einer anderen Sphäre, einem bisher eher vernachlässigten Aspekt der Teezeremonie angehört – das Haiken, das ‚Betrachten‘ bestimmter Teile des Teegeräts. Und zwar tritt darin die ausgeprägt ästhetische Seite des Teeweges in den Vordergrund. Die Gäste erbitten sich die Gelegenheit, die zentralen Gegenstände Chaire bzw. Natsume, Chashaku sowie, bei der Koicha-Zeremonie, auch das Shifuku, den Seidenbeutel, der eingangs die Chaire verhüllt hatte, in die Hände nehmen und diese Stücke in allen Einzelheiten betrachten zu können. Hier kann die ganz und gar auf Diskurs hin angelegte Kennerschaft der Gäste zum Zuge kommen, insofern über das individuelle und zugleich respektvolle Betrachten hinaus unter den Gästen ein Gespräch über die ihnen dargebotenen Gegenstände stattfinden kann und soll. Auch die Auskünfte, die der Gastgeber abschließend zu den einzelnen Gegenständen erteilt, haben nichts mehr mit Shintô oder Zen zu tun, wohl aber mit dem – wenn auch nicht gerade alltäglichen, so doch durchaus erdverhafteten – Kunstverstand, den sich anzueignen fester Bestandteil des Teeweges ist.