Teeweg und Zen

Ein einziger Geschmack


Was hat ein Stichwort ‚Zen‘ auf einer Webseite zum japanischen Teeweg zu suchen? Nun, da gibt es historische und sachliche Gründe. Im Japan des 16. und 17. Jahrhunderts war die Devise ‚Cha zen ichimi‘ (茶禅一味), „Tee und Zen: ein einziger Geschmack“ im Umlauf. Sie diente dazu, dem Teeweg eine neue Ausrichtung zu verleihen – weg von den Prunkveranstaltungen der Mächtigen, insbesondere der Ashikaga-Shôgune, und hin zu einem Teeweg der Innerlichkeit. ‚Cha zen ichimi‘ bedeutete dabei keineswegs, dass Tee-Zusammenkünfte die Zen-Übung des ‚Zazen‘, des „Sitzens in Versenkung“, ersetzen können sollten (was von der Sache her ausgeschlossen ist), noch umgekehrt, dass die Zen-Übung den Teeweg überflüssig macht (auch wenn rituelles Tee-Trinken ein fester Bestandteil der klösterlichen Zen-Praxis war und ist). Vielmehr sollte die Devise ‚Cha zen ichimi‘ darauf verweisen, dass es bei einer Tee-Zusammenkunft um mehr geht als nur um einen leiblichen oder auch um einen ästhetischen Genuss. Die neue Ausrichtung des Teewegs sollte darin bestehen, dass das ausgefeilte Ritual der Zubereitung und des Trinkens einer Schale Tee zugleich zu einer spirituellen Angelegenheit wird, derart, dass durch die gemeinsame Ausübung des Rituals vor allem ein Zustand der Ruhe und des Friedens des Geistes erreicht werden kann und soll, wie er auch für die Zen-Übung charakteristisch ist. All das gilt selbstverständlich auch heute noch.

 

Und zwar sowohl für den Gastgeber bzw. die Gastgeberin als auch für die Gäste. Die Ausübung der Gastgeber-Rolle verlangt, sich ganz in die ‚Performance‘ des komplexen Handlungsablaufs zu versenken, sozusagen ‚ganz und restlos bei der Sache zu sein‘. Und für die Rolle des Gastes gilt, dass wir all das ablegen, was uns im Alltag beschäftigt und uns ganz dem gegenwärtigen Augenblick hingeben: Nichts lenkt uns ab, wenn wir das Wasser im Kessel summen und darin „den Wind in den Kiefern“ (‚Matsu kaze‘) wahrnehmen können; wenn wir die Teeschale in die Hände nehmen, ihre Form, ihre Oberfläche, ihre Wärme verspüren und den dargebotenen Tee schmecken; wenn wir – nicht zuletzt – schweigend die Schönheit der dargebotenen Geräte in uns aufnehmen. Je mehr wir wahrnehmen, desto tiefer versinken wir, und die einzelnen Aktionen des Gastgebers, der Gastgeberin verlieren die Endlichkeit ihrer Kontur: Das Reinigen der Teedose mit dem Seidentuch entfernt nunmehr „den Staub der ganzen Welt“, und der kleine, in sich abgeschlossene Teeraum weitet sich gleichsam ins „Grenzenlose“ – so ein Grundbegriff des Zen-Buddhismus.

 

Zen – das ist die tägliche Einübung in ein spirituelles „Sterben“, in ein Verschwinden von Ich und Welt, aber zugleich auch in eine eben daraus resultierende ungeschmälerte Bejahung der konkreten, wenn auch vergänglichen Welt. Die wechselseitige Durchdringung solch gegensätzlicher Einstellungen läuft auf das hinaus, was die chinesischen Chan-Meister das „spielerisch-vergnügliche Leben“ derer genannt haben, die zur „Leerheit“ des Geistes erwacht und eben deshalb dem Leben stets aufs Neue zugewandt sind, von keinen Anfechtungen mehr bedroht sind. Ganz ähnlich der Teeweg: Von der Grundstimmung des ‚ichigo ichie' gekennzeichnet, lässt er uns jede Tee-Zusammenkunft von Gastgeber/in und Gästen als ein von Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit bestimmtes, flüchtiges Ereignis erfahren, das den Keim seines Verschwindens von Anfang an in sich trägt und gerade deshalb wie ein „Spiel“ erlebt werden kann.